Christian Gottlob Bröder
Kleine lateinische Grammatik
mit leichten Lektionen für Anfänger
bei Siegried Lebrecht Crusius
Leipzig 1801
(3. Auflage)
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Vorrede zur ersten Auflage
Da meine größere lateinische Grammatik für Anfänger zu weitläufig ist: so entschloss ich mich schon vor etlichen Jahren, eine kleinere aufzusetzen, die Anfängern in die Hände gegeben werden könnte. Ich wurde dazu vielfältig aufgefordert, und versprach, sie viel früher zu liefern. Aber mannigfaltige Hindernisse, die ich nicht aus dem Wege räumen konnte, waren Schuld, dass sie erst jetzt erscheint.
Diese Grammatik ist also für Anfänger bestimmt, die dadurch auf die größere Grammatik vorbereitet werden sollen. Sie enthält daher nur die nötigsten Belehrungen über die Sprache, aber nicht alles, was ein guter Lateiner wissen muss. Nach meiner Meinung muss eine Grammatik für die unteren Klassen durch eine geringere Bogenzahl, sondern auch durch ihren Inhalt von einer Grammatik für die oberen Klassen unterscheiden; denn ein Auszug, der alles, was in einer großen Grammatik steht, nur mit weniger Worten vorträgt, ist darum noch keine Grammatik für Anfänger. In dieser muss notwendig vieles wegbleiben, was in der größeren nachgeholt wird.
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Da der angehende Lateiner vor allen Dingen mit den Wörtern selbst und mit ihren Beugungen oder Veränderungen bekannt werden muss: so habe ich in dem etymologischen Teile die Deklinationen und Konjugationen ausführlicher vorgetragen als in der größeren Grammatik. Ich habe die dritte Deklination, die die meisten Wörter hat, mit mehreren Beispielen belegt, und die Konjugationen vollständig aufeinander folgen lassen. Dabei halte ich es mit der alten Meinung, dass beides, Deklinationen und Konjugationen, einem Anfänger am geläufigsten werden, wenn er sie auswendig lernt, welches mir bei Erlernung einer Sprache ebenso nützlich und zweckmäßig vorkommt, als das Auswendiglernen des Einmaleins beim Rechnen. Das sechste Kapitel der größeren Grammatik, welches für Anfänger nicht nötig ist, habe ich mit einem anderen vertauscht, das ihm angemessener sein wird.
In der Syntax habe ich ebenfalls die in der größeren Grammatik angenommene folge der Kapitel beibehalten, und dieselbe Ordnung beobachtet, dass also der Schüler, wenn er hernach die größere Grammatik in die Hände bekommt, sich sogleich darin zurechtfinden kann. Aber überall habe ich mich kurz gefasst, und nicht nur weit weniger Regeln angegeben, sondern auch diese mit nur wenigen Beispielen belegt. Diese Beispiele habe ich nicht aus der größeren Grammatik ausgezogen, sondern allesamt neu hinzugetan, um doch in den Beispielen vieles zu sagen, was nicht schon in jener gesagt ist. Ich habe mich dabei bemüht, lauter solche Gedanken zu wählen, die dem Knabenalter angemessen, und für dasselbe verständlich und lehrreich sind. Bei der größeren Grammatik war es schon schwerer, die ganze Syntax mit guten und lehrreichen Gedanken zu belegen, da ich mir es zum Gesetz gemacht hatte, sie alle aus Römischen Klassikern zu sammeln. Dagegen musste es mir
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bei dieser kleinen Grammatik viel leichter fallen, jede Regel mit brauchbaren und lehrreichen Sätzen, die in dem Gedächtnisse der Jugend immer eine Stelle verdienen, zu erläutern, da ich mir die Freiheit vorbehielt, sie zu schöpfen, woher ich wollte. Dass also die wenigsten aus Römischen Klassikern entlehnt sind, muss ich bekennen; doch denke ich nicht, dass sich die Klassiker ihrer schämen dürften. Bei solchen Beispielen erlangt doch die Jugend mit der Sprache zugleich viele andere nützliche Kenntnisse, die zur Bildung ihres Verstandes und Herzens dienen; und wer wird das nicht billigen?
Nun würde aber für angehende Lateiner noch zu wenig gesorgt sein, wenn sie sich bloß mit solchen syntaktischen Beispielen begnügen sollten. Sie müssen auch ein Lesebuch haben, das vom Leichteren zum Schwereren fortgeht, und ebenfalls von solchem Inhalte ist, der ihnen Vergnügen und Nutzen gewährt. An dergleichen Lesebüchern fehlt es nun zwar nicht; aber doch an einem solchen, das auf die kleine Grammatik unmittelbar hinweist, und von derselben auf der Stelle Gebrauch macht. Ich habe mich also bemüht, ein solches unter dem Titel: Lateinische Lectionen für Anfänger, auszuarbeiten und hinzu zu tun. Es enthält in vier Büchern Naturgeschichte, Gespräche, Erzählungen und Fabeln.
Die Naturgeschichte trägt das vornehmste und merkwürdigste aus der Natur vor, und ist, weil ich ihr gern eine gewisse Vollständigkeit geben wollte, am ausführlichsten geraten. Ich habe dabei, außer einigen lateinischen Lesebüchern, auch die vortreffliche Reichardsche Übersetzung des Wolfeschen Kommentars zu den Basedowschen Elementarkupfern, und dann, besonders im dritten Kapitel, das schätzbare Schützische oder Hallische Elementarwerk benutzt. Überdies habe ich die Blumenbachische Naturgeschichte fleißig dabei zu Rate gezogen, und sie in zweifelhaften Fällen zum Schiedsrichter angenommen.
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Die Gespräche haben mir vornehmlich Corder, Kromayr und Erasmus geliefert. Und wer wird leugnen, dass Gespräche für junge Anfänger eine sehr angenehme Lektüre sind, zumal wenn sie viele ihnen bekannte Gegenstände aus dem gemeinen Leben enthalten. Solche Gespräche geben überdies die beste und natürlichste Anleitung zum Lateinischsprechen, wozu sie zugleich Lust machen, weil so manches darin vorkommt, was junge Schulfreunde oft mit einander zu sprechen haben. Aber wer kann solche Gespräche aus den Klassikern anschaffen?
Die Erzählungen sind aus verschiedenen Quellen gesammelt. Einiges aus der schönen und lesenswerten Übersetzung des Campeschen Sittenbüchleins; einiges aus der lateinischen Zeitung (Ephemerides Lipsicae), die noch vor neun Jahren im Gange war, und in einem musterhaften Stil die politischen Neuigkeiten erzählte.*
*) Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, mein volles Bedauern laut zu bezeugen, dass diese Zeitung, nach einer so kurzen Periode von 2 Jahren, schon wieder aufhören musste, da doch aus seinem so schön geschriebenen lat. Zeitungsblatte die studierende Jugend nicht nur ebenfalls Latein lernt, sondern auch, wie man so viele moderne Gegenstände, wovon die Römer nichts wussten, in gutem Latein ausdrücken kann, welches gewiss nicht leicht ist. Und doch ist das nur die Hälfte des Nutzens. Die eine solche Zeitung schafft. Wird nicht die Jugend daraus zugleich mit den neuesten Weltbegebenheiten bekannt, die ja wohl ebenso wissenswert sind, als die Römische oder Griechische Geschichte? Werden nicht eben dadurch das Studium der Geographie und viele andere nützliche Kenntnisse zugleich befördert? Gewiss, es wäre eine Hauptverbesserung für alle lateinischen Schulen und Gymnasien, wenn eine politische Zeitung in klassischem Latein darin eingeführt und gelesen würde. Und eine solche Zeitung schrieb damals Hr. Reichard, dessen klassisches Latein auch aus seinen "Initiis doctrinae et disciplinae christianae". Und aus seiner "Historia belli septennis" allgemein anerkannt ist. Möchte doch die Stimme des Publikums der meinigen beitreten, und den Hrn. Reichard vermögen, dieses Arbeit noch einmal vorzunehmen, und der studierenden Jugend, so wie jedem Liebhaber der lat. Sprache, eine so angenehme und nützliche Lektüre zu verschaffen.
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So wie ich unter die Erzählungen keine aus den "Lectionibus latinis", die meiner größeren Grammatik angehängt sind, aufgenommen habe: so habe ich auch von den Fabeln, die dort stehen, keine einzige hier wiederholt. Und da ohnehin die Aesopischen Fabeln fast in allen dergleichen Lehrbüchern anzutreffen sind: so glaubte ich, nicht unrecht zu tun, wenn ich mich einmal nach anderen Fabeln umsähe, die noch nicht so bekannt und gewöhnlich sind. Dergleichen habe ich nun vom Camerarius, Abstemius und anderen gesammelt. Aber unter den neueren lateinischen Fabelbüchern behauptet wohl Desbillions den ersten Rang, der nicht nur alle Aesopischen Fabeln, auf Phädrische Manier, in Verse übertrug. Sein Latein ist ganz Römisch, und seine Moral noch mannigfaltiger und anwendbarer, als die Moral des Phädrus. Ich habe also aus der Menge seiner Fabeln, deren Anzahl sich auf 530 beläuft, einige ausgehoben, und mit denselben, weil es Verse sind, das Lesebuch beschlossen.
Diese Lektionen sind also nicht aus Römischen Klassikern geschöpft; aber ich denke nicht, dass sie deshalb verwerflich sein werden. Wollte man alles, was die Jugend zu ihren ersten Leseübungen gebrauchen soll, bloß
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aus Römischen Schriftstellern sammeln: so würde eine solche Sammlung für die ersten Anfänger nicht interessant und anziehend genug ausfallen; da die Römischen Klassiker nicht für Knaben schrieben. Und doch kommt bei Erlernung einer Sprache viel darauf an, dass die ersten Texte, die junge Leute lesen sollen, ihnen nicht nur völlig verständlich und fasslich sind, sondern sie auch durch ihren mannigfaltigen und angenehmen Inhalt an sich ziehen, und ihnen Vergnügen machen. Was aber Männern sehr gefällt, das ist oft Knaben sehr gleichgültig. Wenn man sich also sonst überlall beim Unterrichte der Kinder nach ihren Fähigkeiten, Kräften und Charakteren richten muss: so wird es wohl nicht übel getan sein, wenn man auch beim Sprachunterricht die ersten Leseübungen nach dem Geschmacke junger Seelen wählt, und sie deshalb lieber aus neueren Schriftstellern hernimmt, wenn diese dazu brauchbarer sind. Und wie manches lateinisches Lesebuch, z.B. das Gedickesche, hat nicht Beifall gefunden, und viel Gutes bewirkt, ungeachtet es ebenso wenig aus Römischen Schriftstellern geschöpft ist. Der Stil ist freilich nicht überall gleich. Aber das ist er ebenso wenig, wenn man die Lesestücke aus dem Cicero und Seneca, Varro und Valerius Maximus nimmt. In der Absicht, die Neugierde der jungen Leser zu reizen, und dadurch zum Fortlesen anzufeuern, habe ich kein Bedenken getragen, auch einige drollige Sachen, die sie mit Vergnügen wiedererzählen, und bei vielen Gelegenheiten, auch unter ihresgleichen, mit Beifall anbringen können.
Eine Hauptsache beim Sprachunterricht, so wie bei Erlernung einer jeden anderen Wissenschaft, ist die, dass der Unterricht stufenweise fortschreite, und nach und nach vom Leichteren zum Schwereren übergehe. Ich habe mich daher bemüht, die Lektionen stufenweise zu ord-
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nen, und deshalb jedes Buch in drei Kapitel geteilt, wovon allemal das erste das leichteste Latein enthält, welches sich fast überall wörtlich übersetzen lässt. Wenn also ein Lehrer die ersten Kapitel der 4 Bücher zuerst durchgehen will. So wird dadurch nicht nur mehr Abwechslung in den Unterricht gebracht, sondern auch das Verstehen der folgenden Kapitel sehr erleichtert werden.
Um nun zugleich den Anfänger mit der Grammatik bekannt zu machen. So habe ich bei vielen Stellen durch Zahlen in den Anmerkungen auf dieselbe hingewiesen. Die Zahlen in den Anmerkungen deuten aber nicht auf die Seiten des Buchs, sondern auf die Paragraphenzahlen, die durch das ganze Buch laufen, und führen allemal auf die Stelle in der Grammatik, wo die vorkommende Konstruktion erklärt, oder die Übersetzung angegeben wird.
Nun ist es aber sehr dienlich, wenn der Anfänger zu seinem ersten Lesebuch ein eigenes Wörterbuch in Händen hat, worin alle hier vorkommenden Bedeutungen angegeben sind. Es soll also ein solches Wörterbuch nachfolgen, und mit Gottes Hilfe nächstens erscheinen.
Da mir die Urteile über meine Arbeiten nie gleichgültig sein können: so wird mir jeder gegründete Tadel, um den ich selbst bitte, allezeit willkommen sein, und ich werde mir alles, was mir davon bekannt werden wird, dankbar und sorgfältig zu Nutze machen; denn was könnte ich mehr wünschen, als allen Mängeln abzuhelfen, und sowohl die Grammatik, als das Lesebuch, des öffentlichen Beifalls würdiger zu machen.
Übrigens wünsche ich herzlich, dass auch durch diese Arbeit, unter Gottes Segen die Unterweisung und Bildung der Jugend erleichtert und befördert werden möge!
Beuchte den 15. April 1795.
C.G. Bröder
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Ein Wort zur zweiten Auflage.
Da das Wörterbuch zu dieser kleinen Grammatik bereits erschien: so war es schon in dieser Rücksicht nicht tunlich, sie bei der zweiten Auflage mit Zusätzen zu vermehren, damit das Wörterbuch auch für diese Auflage brauchbar bliebe. Ich habe sie also unverändert wieder abdrucken lassen, und nur hie und da einige Anmerkungen geändert und verbessert. Beuchte, den 24. November, 1796.
B.